Samstag, 19. Februar 2022


Des Menschen ganzes Glück besteht in zweierlei: 

Daß ihm gewiß und ungewiß die Zukunft sei. 

(Friedrich Rückert)


Nach einer Nacht mit heftigem Seegang, in der einem plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel, warum es heißt, ein Schiff würde „rollen“, - ja, der menschliche Körper rollte auch von einer Seite des Bettes zur anderen - kämpften wir uns in schwankendem breitbeinigem Gang zum Frühstück. Einer Eingebung folgend, besuchten wir dabei nicht das Buffet-Restaurant Anckelmannsplatz, sondern gönnten uns den Bedien-Service im Heck des Schiffes.



Der „Diamant“ liegt auf Deck 5, dem Deck, auf dem auch die Rettungsboote untergebracht sind - aber das nur nebenbei...... So relativ weit unten hatte man fast das Gefühl, mitten im Ozean zu sitzen.



Selbst die Kellner, die einer Seetauglichkeits-Prüfung unterzogen werden, bevor man sie bei TUI einstellt, liefen mit den Kaffeetassen auf ihren Tabletts auf und ab und auf und ab und nahmen wieder neu Anlauf, als wollten sie Butler James aus Dinner for One Konkurrenz machen. Immer wieder schepperte es in der offenen Küche so sehr, daß man annehmen mußte, dem Koch sei die Bratpfanne vom Herd gerutscht. Nachdem ein ganzer Schwung Spiegeleier mitsamt ihren Tellern noch vor dem Servieren von der Theke zu Boden gegangen war, hatten auch wir alle Hände voll zu tun, gleichzeitig Teetasse, Brotkorb, Bestecke und Saftgläser blitzschnell festzuhalten, bevor sie erst auf der einen Seite des Tisches, dann auf der anderen Seite herunter zu rutschen drohten.


Zu allem Überfluß erklang in dem Moment auch noch die Stimme des Kapitäns, der alle Gäste darüber informierte, daß es einen weiteren medizinischen Notfall gegeben hatte. Er hätte überlegt, einen Zwischenstopp in Lissabon einzulegen, um den Passagier ins Krankenhaus zu bringen. Leider könne bei diesem Seegang der Hafen aber nicht angesteuert werden, auch für eine weitere Hubschrauber-Bergung sei das Wetter zu rau. Da hatte Käpt‘n Jan Fortun eine Menge zusätzliche Arbeit bekommen.


Überall wurde das Schiff abgesichert. Das Oberdeck wurde gesperrt, ebenso wie das Fitness-Studio. Das Klavier auf der Schaubühne bekam einen Spanngurt verpaßt. Momentan laufen bereits am Vormittag viele neu improvisierte Shows, da sich die Künstler zusammentun und sich gegenseitig inspirieren. Heraus kommen Überraschungs-Programme, die vor Kreativität nur so strotzen. 



Gegen Mittag hatte sich das Wetter kurzzeitig so weit beruhigt, daß die portugiesische Armee doch einen Hubschrauber entsenden konnte zur Bergung des medizinischen Notfalls. Der bedauernswerte Patient hatte gestern Abend, als zum ersten Mal ein Hubschrauber kommen mußte, bestimmt nicht geahnt, daß auch er heute zum Notfall werden würde. Welch ein Segen, daß die Zukunft im Ungewissen liegt.


Gleichzeitig ist es beruhigend, Gewissheit darüber zu haben, daß dieser wilde Seegang, den wir momentan erleben, über kurz oder lang seine Kraft einbüßen wird. Aber bis dahin haben wir GANZ GROSSES KINO hier an Bord.





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